Donnerstag, 20. Dezember 2012

Projekt Norwegen - Kapitel I


Unser Startpunkt war am Stromkilometer "49", direkt oberhalb des Blauen Wunders. Für alle denen das "Blaue Wunder" kein Begriff ist: Es handelt sich dabei um die Loschwitzer Elbbrücke in Dresden. Für die erste Etappe sollte es die Elbe hinunter gehen. Bei Lauenburg würden wir in den Kanal nach Lübeck abbiegen. Von Lübeck sind es ja dann nur noch knapp 20 Kilometer bis zur Ostsee. Bis nach Lübeck wollte ich gern richtig Tempo machen, denn dass Studium in den letzten fünf Jahren hatte nur wenig Zeit für Training gelassen. Diese Etappe wollten wir also als Trainingsetappe absolvieren. Sechshundert Kilometer Training sollte für den Teil auf der Ostsee reichen. Aber zu Beginn der Reise wussten wir ja noch gar nicht, was "Tempo" auf einer langen Reise im Wanderkajak bedeuten würde. Wir waren ja beide eigentlich überwiegend Rennkajaks gewohnt.

Streckenabschnitt I - Von Dresden nach Lübeck

Nach der Verabschiedung am Nachmittag des 22. August schafften wir es noch bis kurz vor Meißen. Damit waren es für den ersten Nachmittag immerhin schon etwa 30 Kilometer. Gemessen an den 1600 Kilometern bis Oslo oder gar 2200 Kilometern bis Trondheim wirkt diese Entfernung aber erschreckend klein. Diese Zahlenspiele mussten wir also schnell aus unseren Köpfen verbannen und uns auf die kleineren Ziele konzentrieren. Was bietet sich da mehr an, als sich mit den Flusskilometerschildern zu beschäftigen. In den folgenden Tagen feierten wir jeden Hunderte von zu Hause (also die Schilder "149", 249", usw.), dann die vollen Hunderter, Schnapszahlen und dazwischen, alle Schilder, die irgendetwas mit uns und unseren Geburtstagen zu tun hatten. Es gab also jeden Tag genug zu feiern auch sonst hatten wir unheimlich Spaß auf unserer Tour durch Deutschland. Im Schnitt schafften wir jeden Tag zwischen 50 und 60 Kilometer und wir hatten bald unseren Rythmus für den Tagesablauf heraus.

Wir feiern unsern 200. Streckenkilometer

Tagesablauf
Aufstehen war meist so gegen 7 Uhr angesagt. Nach den ersten 10 Kilometern des Tage gab es immer ein kurzes Frühstück auf dem Wasser. Dabei entstand unsere Tradition "Jeden Tag ein Apfel". Nach 20 Kilometern machten wir dann unseren ersten Landgang. Ein größeres, zweites Frühstück stand dann immer an. Zwanzig Kilometer waren auch immer die Grenzmarke, bei der wir, erstmals am Tag, nicht mehr sitzen konnten. Ein Landgang war deshalb alle 20 Kilometer vorerst Pflicht. So stand auch immer nach den weiteren 20 Kilometern am Nachmittag ein warmes Essen auf dem Plan. Bei diesem Rythmus schafften wir dann am Abend auch nochmal etwa 20 Kilometer. Besonders am Abend hat man das Gefühl, dass die Kajaks wie von allein fahren. Für besonders viele schöne Abendkilometer bekommt man am nächsten Morgen dann die Quittung, in Form von Muskelkater.

Franz setzt die "Jeden-Tag-ein-Apfel"-Regel durch

Zwischen Riesa und Torgau hört die Elbe dann entgültig auf, in einem Taleinschnitt zu fließen. Wir waren seit dem immer von Agrar- oder Naturlandschaft umgeben. Das Übernachten sollte uns nicht schwer fallen, da es von dort an immer mehr Sand und Kiesbänke entlang der Elbe gibt, welche zum Zelten einladen. Die Versorgung entlang der Strecke war eigentlich nie ein Problem. Ortschaften und Gaststätten gibt es genug am Fluss. Frischwasser für die Katzenwäsche ist also auch vorhanden. Nur die Ganzkörperpflege musste manchmal etwas zurückstehen. Das trübe Wasser der Elbe stinkt am Ende des Sommers. Braune Schwebteilchen, Schaum und tote Fische laden einfach nicht zum Baden ein. Da stinkt man dann mal lieber ein paar Tage mit der Elbe um die Wette. Und immerhin gibt es ja in Sachsen-Anhalt dann das "Blaue Band". Dahinter verbirgt sich ein Zusammenschluss von Bootsvereinen, Campingplätzen, usw. die Bootstouristen entlang der Elbe offen stehen. Hier konnten wir gelegentlich duschen, waschen, campen. Von Elster (Elbe) bis Magdeburg ist die Elbe dann stark nach West ausgerichten. Unser Timing war an diesen Tagen nicht besonders gut.

Der Tag vor Magdeburg
Wir legten am Morgen kurz vor Dessau ab. Der Wind hatte gegenüber dem Vortag aufgefrischt und kam nun von Nordwest. Auf allen geraden Strecken hatten wir direkten Gegenwind. Dadurch angestachtelt kämpften wir dagegen an und hofften auf jede Änderung der Flussrichtung. In diesen Flussbiegungen ließen wir es dann ruhiger angehen. Zwar gibt es, verglichen mit Dresden, kaum noch Strömung, aber wir mussten gelegentlich mal die Seele baumeln lassen. In der letzten stürmischen Passage vor Schönebeck schwappten dann die Wellen ordentlich auf unsere Decks. Gerade, als wir eine Brückenbaustelle passierten riß der Sturm eine Bauplane los. Ich fischte sie aus der Elbe und wir schnitten uns einen Teil als Segel und Zeltunterplane ab. Aber ans Segeln war heute nicht mehr zu denken. Als am Abend der Sturm nachließ trudelten wir noch bis Magdeburg in einen kleinen Hafen. Mächtig ausgepowert richteten wir unser Lager auf und genossen Dusche, Wäsche waschen und das Abendbrot auf der Hafenwiese. Der Blick auf die Karte machte uns schon Stolz. Trotz Gegenwind hatten wir an diesem Tag unsere längste Strecke hinter uns gebracht. Die 70 Kilometer dieses Tages sollten bis Oslo nicht zu knacken sein. Dafür war der nächste Morgen dann ziemlich zäh und wir legten erst kurz vor Mittag ab.


Ab Magdeburg hatten wir dann fast nur noch Sandbänke um uns herum. Wir kreuzten den Mittellandkanal und besichtigten Tangermünde. Nach dem Elbknick bei Havelberg verließen wir dann vorübergehend die Zivilisation. Zwischen Wittenberge und Lauenburg ist die Elbe immer wieder in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen innerdeutschen Grenze. Ein bisschen vermissten wir da schon, dass es nirgends größere Städte an der Strecke gibt. Im Ausgleich dagegen bekamen wir unzählige Zug- und Wasservögel zu sehen. Und wir konnten mal unmittelbar an einen Beobachtungsturm der einstmaligen DDR-Grenze heranlaufen. Ich weiß nicht warum, aber dass wollte ich schon immer mal machen. Irgendwie ist das schon Geschichte zum Anfassen - auch wenn es kein schöner Teil unserer Geschichte ist.

Wir passieren Tangermünde

Landgang am B-Turm der ehemaligen Grenze

Die letzten Kilometer auf der Elbe
Den letzten Abend auf der Elbe werden Franz und ich wohl nicht so schnell vergessen. Die Abendsonne bot ein schon nahezu kitschiges Farbenspiel. Während sich der Horizont und die Sonne in extremem Rot färbte, trennte eine dunkle Wolkenwand das Farbenspiel vom dunklen Abendhimmel über uns. Das Wolkenband zog geradewegs auf uns zu und die Ausläufer der Regenschleier ließen die rote Sonne dahinter nur verschwommen durchscheinen. Franz und ich waren sowieso schon auf der Suche nach einem Schlafplatz am Ufer. Wir hatten die Qual der Wahl, denn die Ufer, rechts und links von uns, waren gesäumt von langgezogenen Sandbuchten. Plötzlich zuckte aus der finsteren Wolke ein Blitz zu Boden. Weit kann er nicht von uns eingeschlagen haben, weil darauf auch sofort der Donner folgte. Kräftig setzte ein Windstoß von vorn ein und signalisierte uns, dass das Gewitter in wenigen Augenblicken passieren würde. Ein kurzer Spurt brachte uns ans Ufer und in Windeseile zogen wir die Kajaks den Strand hoch. Das Zelt stand innerhalb weniger Minuten - wir waren mittlerweile ein gut eingespieltes Team. Kaum stand das Zelt, da warfen wir auch schon alles Gepäck hinein. Wir sprangen hinterher. Dann hieß es erstmal abwarten. Aber das schlimmste blieb uns erspart. Das Gröbste zog an unserer Position vorbei und mehr als ein bisschen Regen bekam unser Lager nicht ab.
Überraschender war dann der nächste Morgen. Der Blick aus dem Zelt offembarte nur Nebel - extrem dichten Nebel. Wir konnten nicht einmal bis zur Flussmitte schauen. Damit mussten wir abwägen, ob es gut ist überhaupt abzulegen, bevor sich nicht der Nebel verzogen hat. Wir entschieden uns, trotz Nebel, weiterzupaddeln. Nur langsam tasteten wir uns in Ufernähe weiter. Unsichtbar, aber hörbar passierte ein Schlepper in der Flussmitte. Nur als dunklen Umriss konnten wir ihn erahnen. Ein paar Kilometer später erschien eine Fähre aus dem Nebel. Wir kreuzten ihren Weg, nachdem sie vorbeigezogen war. Gleich darauf war sie auch schon im Nebel hinter uns verschwunden. Als sich der Nebel endlich lichtete erreichten wir den Flusskilometer "555". Unsere Tour war nun also schon mehr als 500 Kilometer lang. Die restliche Strecke bis Lauenburg paddelten wir in bestem Sonnenschein. Unmittelbar an der Einfahrt in den Elbe-Lübeck-Kanal empfing uns die "Kaiser Wilhelm", ein Seitenraddampfschiff. Die Analogie zu unseren Raddampfern in Dresden wirkte schon fast wie ein gutes Zeichen.



Der Nebel am nächsten Morgen

White-out

Nun hatten wir schon mehr als 500km hinter uns

Elbe-Lübeck-Kanal
In Lauenburg machten wir eine ausgedehnte Pause unter ließen die Erlebnisse der letzten Tage auf uns wirken. Von nun an sollte es geradewegs nach Norden Richtung Lübeck gehen. Franz und ich passierten eine Werft. Auch wenn unsere Dampfschiffe und Schlepper in Dresden nicht gerade klein sind, so lagen hier schon deutlich größere Schiffe auf der Werft. Der Eingang zum Kanal war uns durch eine Schleuse versperrt. Mit der Vorfreude und Anspannung kleiner Jungs erwarteten wir zwei unsere Einfahrterlaubnis in die Schleuse. Nachdem ein Schlepper und diverse Yachten herausgefahren waren, war es für uns soweit. Wir durften hineinpaddeln. Mit viel Getöse wurden wir nun auf das Kanalniveau gehoben - schätzungsweise knapp 10 Meter. Nun sollten wir keine Strömung mehr haben und das spürten wir dann doch deutlich. Das Paddeln im Kanal kann man als schön, aber ereignislos beschreiben. Am Ufer gab es kaum anderes Wald Wiese und die grüne Uferböschung zu sehen. Gelegentlich begegnet man Yachten und Schleppern. Da waren die vielen Schleusen schon echte Highlights. Aber gleichzeitig kosteten sie uns auch eine Menge Zeit. So mussten wir zweimal am Kanal nächtigen. Wir verbrachten eine Nacht am Kanalrand und eine zweite Nacht im Unterwasser der Schleuse von Krummesse. Mittlerweile hatte sich unter den Schleusenwärtern herumgesprochen, dass da noch zwei Kajakfahrer im Kanal unterwegs seien. Somit war unser Ankommen an der nächsten Schleuse meist schon im Voraus bekannt. Am Ende des Kanals erreichten wir gemeinsam Lübeck und errichteten unser Lager im Stadtpark.
Franz musste leider vorzeitig zurück in Heimat. Wir breiteten sämtliche Ausrüstung aus und entschieden, was ich auf meiner weiteren Fahrt mitnehmen würde, was Franz mit zurück nach Dresden nehmen sollte und was wir gleich vor Ort entsorgen. Schweren Herzens trennten wir uns. Franz lief zum Bahnhof und begann eine abenteuerliche Heimfahrt. Er war voll bepackt mit dem normale Gepäck, plus Faltboot und Paddel.

Raddampfer "Kaiser Wilhelm" in Lauenburg

Tobias Krug in einer Schleuse des Elbe-Lübeck-Kanals

Lange Geraden auf dem Kanal

Gemeinsame Ankunft in Lübeck

Unser Zigeunerlager im Stadtpark von Lübeck


Das erste Mal Ostsee

So ging es nun doch zeitiger als gewollt allein weiter in Richtung Norden. Ich paddelte allein durch Lübeck und weiter nach Travemünde. Hier begegnete ich den ersten Hochseeschiffen und fuhr weiter Richtung Timmendorfer Strand. Hier schlug ich dann erstmal mein Lager auf. Seit Lübeck hatte ich die ersten richtig hohen Schiffswellen, jede Menge kleinere seetaugliche Yachten und die großen Fähren erlebt. Genug, um davon mindestens eine Stunde zu berichten. Und ich dachte mir nur immer wieder: "Schade, dass das jetzt Franz nicht miterlebt..."

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Blogeintrag vom 30.08.2012:

++++++++++20 km vor Lauenburg++++++++++


Kommentare:

  1. hallo Tobias, tolle und beeindruckende Idee/ Fahrt! Nicht unbedingt was für die Laien- Senioren- Einarmfahrer ;-) aber ich wünsche dir eine gute Fahrt, schöne Erlebnisse und eine glückliche Heimkehr. 
    Gruss Frank/ LPG

  2. Hi Brüderchen,
    na das klingt ja, als würdet ihr super vorran kommen.
    na dann haltet mal die ohren steif und viel spaß und ne gute weiterfahrt.
    Chris und lisa

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